"Das
Wichtigste ist, sich auf einen Kampf einzulassen, dann werden wir
schon sehen." Bonaparte
Presse
und Kunstkritik stellen fest, daß die Aktivität der Neuen
Akademie der Schönen Künste zur bedeutendsten Erscheinung
der Petersburger Kunst der 90er Jahre geworden ist. Diese Einmütigkeit
ist heute selten und verdächtig. Die übermäßige,
erfolgreiche Unverschämtheit der Simulationen und Pops ermüdet
uns, aber es ist interessant, daß die Neue Akademie, obwohl
sie diese Mechanismen rational ausnutzt, weder das eine, noch das
andere ist.
Beschreiben wir zuerst die äußere, offizielle Seite dieses
Phänomens. Und in der Tat, was zum Teufel sind dies für
dorische Tempel in Muromer Urwäldern?
Die Neue Akademie ist von jungen Künstlern gegründet worden,
die in den 80er Jahren durch ihre radikalen Interpretationen verschiedener
Kunstrichtungen - von russischer Avantgarde bis zu Wilder Malerei
und Surrealismus - berühmt geworden sind. Nachdem sie vom "Unfug"
der Moderne enttäuscht worden waren, verkündeten sie die
Rückkehr zu Idealen des Akademismus. Sie erklärten unsere
Stadt zum letzten Bollwerk klassischer Traditionen mitten im feindlichen
Meer der kommerzialisierten proamerikanischen Moderne. Als Beweggrund
für ihre Metamorphosen und geopolitischen Ambitionen machen die
Neoakademiker die Notwendigkeit geltend, die "ökologische
Balance" in der gegenwärtigen Kultur wiederherzustellen,
in der die alternde Moderne das Monopol erworben habe und alle anderen
Kunstverständnisse unterdrücke.
Der Hauptideologe und Begründer der Bewegung Timur Novikov hat
Professoren angestellt, zu denen Andrej Medvedev, Denis Egelskij,
Oleg Maslov und Viktor Kusnetsov zählen. Unter fünfzehn
Studenten gibt es junge Leute aus verschiedenen europäischen
Ländern. An der Aktivität der N.A. nehmen Künstler
wie Bella Matveeva und Georgij Gurijanov, Olga Tobreluts und Egor
Ostrov, die sich mit neuen Computertechnologien auseinandersetzen,
oder Andrej Venclova, Autor von Videopern teil. An den Ausstellungen
der N.A. beteiligten sich Sergej Kuriochin, Sergej Bugaev (Afrika)
und viele andere bekannte Künstler. Die N.A. bildet die Basis
für die Zeitschriften "Kabinet", "Wille zur Kunst"
und "Ptjutsch". Die Kuratoren und Kritiker, welche die akademischen
Aufrufe ironisch aufgefasst hatten, wurden durch den Anblick von Studenten
in Erstaunen versetzt, die stundenlang eifrig Gipsabgüsse studierten,
oder an einige Quadratmeter großen Staffeleigemälden malten.
Berühmt wurde die N.A. durch ihre außergewöhnlich
dynamische und vielfältige Ausstellungspolitik: in der Hochsaison
werden fast jede Woche neue Ausstellungen eröffnet. Zu den populärsten
gehören die Ausstellungen von A.N. Samochvalov, A.A. Ivanov,
Karl Lagerfeld, "Raffaels Zeichnungen", "Pierre et
Gilles und Farrel & Parkin", "Moderne im 20. Jahrhundert",
"Renaissance und Resistance" (gemeinsam mit dem Russischen
Museum) sowie die Ausstellungen im Rahmen der "Tage der Klassik
in Petersburg" (gemeinsam mit der Kulturstiftung).
1995 eröffnete die Neue Akademie ihr eigenes Museum. Zu den ersten
Ausstellungen in diesem Museum gehören "Sowjetische Kunst
über den Krieg", "Portrait in der gegenwärtigen
westlichen Fotografie" und "Nacktheit und Moderne".
Die letzte Ausstellung wurde berühmt durch den Skandal, den sie
verursachte, weil sie als eine Herausforderung gegenüber der
Moskauer prowestlichen Kunst und als Beginn des ästhetischen
Krieges zwischen zwei Hauptstädten aufgefasst wurde.
Worin liegt das Geheimnis solch eines starken Energieausbruchs? Timur
Novikov gehört zu denjenigen erleuchteten, magischen Menschen,
die Leute verzaubern und das Leben beschwören können. Diese
Fähigkeiten beruhen auf solchen "Banalitäten"
wie ein großes Verantwortungsbewußtsein, Fröhlichkeit,
das Bestreben das Leben freudevoll und interessant zu sehen.
Schon Anfang der 80er Jahre bildete sich Timur Novikov zu einem -
heute weit verbreiteten Künstlertypus heraus, der sowohl Künstler
wie Kurator genannt werden kann. Er war so energiegeladen, daß
er nicht ruhig stehen konnte, wenn er mit jemandem sprach, und buchstäblich
immer wieder hin und her hüpfte. Er verwandelte alle Menschen,
die er liebte, alle seine Freunde in Künstler. Er verriet ihnen
die idealen Seiten ihrer Seelen und ihrer Schicksale. Seine Strategien
sind außergewöhnlich flexibel, dynamisch, elegant und riskant.
Er nimmt immer den "leeren Platz" ein, jene Hinterhöfe
der Kultur, die von niemandem beansprucht werden, von denen sich alle
mit Abscheu abkehren. Mitte der 80er Jahre, als es für einen
ehrlichen alternativen Künstler genauso verwerflich und absurd
war, in ernster Absicht Hammer und Sichel zu zeichnen, oder ein Hakenkreuz,
hat Timur, zum Beispiel, einen malerischen Stil geschaffen, der als
Dandy-Soz-Art-Graffiti beschrieben werden kann. Demgegenüber
ist der Akademismus zu einem solchen ästhetischen Ghetto geworden,
das ungeheuere Assoziationen bei einem political-correct gesinnten
Kunstkenner auslöst. Eine der sichtbaren Strategien von Timur
ist es aber, jemanden beim Worte zu nehmen. Glauben Sie an Zeichen
und Wörter? Dann kann man mit Ihnen zaubern. Sie werden zum künstlerischen
Material, zu einem Element des ernsthaften Mysteriums.
Andrej
Chlobystin